Seine erste Auflage feierte der HanseGravel in 2019. Gemeinsam mit Hansi und weiteren etwa 160 Leichtmatrosen stand ich damals auf dem Entenwerder in Hamburg. Nach unserer Ankunft in Stettin und dem Eintrag ins dortige „Finisherbuch“ war uns schon klar: Klasse! Diesen Törn, den segeln wir nochmal. Er verbindet über eine besonders schöne Strecke die Hansestädte an der Ostseeküste (Hamburg, Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Stettin). Entstanden ist die Idee des Hanseatenweges zwischen Natur-Freunden. Der Track verläuft über alte Handelsrouten auf naturbelassenen Wald- und Feldwegen, ausgebauten Wander- oder Fahrradwegen. Zu einem minimalen Teil auch mal über verkehrsarme Landstraßen und ist circa 600 Kilometer lang. Gepflegt wird nur die Ausschilderung, nicht der Weg selbst. Der Landgang über Usedom ist ein kleiner Leckerbissen unterwegs, vornehmlich zur Unterhaltung der reisenden Matrosen.
In diesem Jahr war es dann endlich so weit. Die Pandemie ist zwar längst nicht besiegt, aber die Rahmenbedingungen ließen eine Wiederholung des Hansegravel problemlos zu. Neben mir heuerte einmal mehr Matrose Hansi an. Außerdem gesellten sich mit Andreas und Dirk zwei neue Seemänner zu uns, die mit dem diesjährigen Hansegravel ihre Prüfung zum Matrosen ablegen wollten.
Die erste Etappe: Hamburg-Dassow
Unsere beladenen „Koggen“ transportieren wir sehr komfortabel via ICE von Kassel bis Hamburg. Direkt am Hauptbahnhof (nicht weit vom Entenwerder entfernt, dem eigentlichen Start) setzen wir zur Mittagszeit die Segel und machen die Leinen los, Kurs Nord-Nordost. Die Alster weist uns den Weg. Aus der Stadt kommen wir recht zügig raus. Der Fluß führt stellenweise sehr flaches Wasser, für uns bedeutet das einige Landgänge mit Schlepperei (Treppenstufen) der Koggen. Eine steife Brise aus Westen verleiht uns dafür willkommenen Vortrieb. Das sollte sich im weiteren Reiseverlauf noch ändern. An der Mellingburger Schleuse werfen wir kurz den Anker, um uns an deren Kombüse ein paar Leckereien zu gönnen. Gleiches tun wir in Bad Oldesloe, zu gemütlich ist das Städtchen, um hier einfach nur durchzusegeln. Zeitstress haben wir keinen. Nach Lübeck laufen wir mit einbrechender Dämmerung in Travemünde ein, verpflegen uns standesgemäß mit Fish&Chips und setzen nach Priwall über. Unser Tagesziel haben wir erreicht und nun beginnt die Suche nach einem Ankerplatz für die Nacht. Nicht weit entfernt vom Dassower See werden wir schließlich fündig. In das Logbuch wandern die ersten 115 Kilometer.
Die zweite Etappe: Dassow-Rövershagen
In der Nacht hat es geregnet, so dass es morgens auf Deck noch leicht feucht ist. Die steife Brise im Bund mit der Sonne sorgt für etwas Trocknung der Ausrüstung. Nach dem Kaffee beschließen wir, bis Wismar weiterzusegeln, um dort ein großes Frühstück einzunehmen. Immerhin sind das etwa 50 Kilometer. Aber 10 Kilometer vor dem Hafen von Wismar erliegen wir dem Charme eines gerade neu eröffneten Cafés, in dem wir reichlich verwöhnt werden. So schauen wir in Wismar dem Treiben im Hafen nur aus der Ferne zu. Ungewohnt große Menschenansammlungen stehen an den Fischerbooten, um irgendetwas Fischiges zu ergattern. Uns ist das entschieden zu viel Trubel und ziehen weiter des Weges. Die nächsten großen „Häfen“ sind Bad Doberan und Rostock. Diesmal verlassen wir unseren Kurs in Rostock, um in die Altstadt einzutauchen, die Hansi und ich beim letzten Törn gar nicht zu Gesicht bekommen haben. Naja, viel verpasst haben wir nicht. Ja, die Altstadt kann man sich anschauen. Begeisterung kommt nicht auf, aber wir können unseren Hunger stillen. Denn es ist inzwischen schon wieder 19 Uhr. Hinter Rövershagen finden wir einen tollen Ankerplatz in der Rostocker Heide. Wie für uns geschaffen. Niedriger Rasen, eine Hütte mit Sitzbänken. Was benötigt der Bikepacker, meine natürlich Matrose, schon mehr? Wir können in unser Logbuch weitere 140 Kilometer eintragen. Der Wind war uns heute sehr gnädig! Kam stets von hinten.
Die dritte Etappe: Rövershagen-Zinnowitz (Usedom)
Die Wettervorhersage für den heutigen Tag ist, was Sonnenschein betrifft, sehr bescheiden. Auch die Temperaturen, insbesondere Nachts, sind für uns überraschend niedrig. Seit gestern hat Dirk außerdem ein Problemchen in seiner Koje. Die gute Thermarest verliert Luft. An welcher Stelle, können wir trotz gründlicher Suche nicht herausfinden. Erstmal Frühstücken! Das ist der Slogan in Ribnitz-Damgarten. Eine gute Stunde genießen wir hier sämtliche Annehmlichkeiten einer Bäckerei. Und danach die Landschaft, die hier auch sehr nett anzuschauen ist. Wir schippern unterhalb von Zingst in Richtung Stralsund. Dunkle und ganz dunkle Wolken ziehen um uns herum. Hier sind Hansi und ich schon mal richtig abgelöscht worden. Sollte sich das heuer etwa wiederholen? Dank Wetterapp sehen wir, dass eine kleine Chance besteht, trockenen Fußes bis Stralsund zu kommen. Durch den Wind treiben wir gleich schnell mit den Wolken. Die Rechnung geht auf. Während wir im Braugasthaus von Störtebeker am Mittagstisch sitzen, prasselt draußen eine stürmische Hagelschauer zu Boden. Das war Timing! Der nun vor uns liegende Streckenabschnitt bis Greifswald ist legendär, bedeutet aber raue See. Über 20 Kilometer setzt hier die alte B96 Mensch und Material ordentlich zu. Eine gefühlte Unendlichkeit. In Greifswald werfen wir dann ein weiteres Mal den Anker, um die nächste Schauer über uns hinwegziehen zu lassen. Lecker Kaffee und Kuchen (#Legnern) versüßt uns die Liegezeit. 110 Kilometer Tageswerk liegen bereits hinter uns und wir schmieden den Plan, auf Usedom ein nettes Plätzchen zu suchen. In Wolgast verproviantieren wir uns noch für den Abend und stranden hinter der Peenebrücke auf der Insel Usedom. An diesem Abend verspüren wir alle vier das Bedürfnis für eine warme Dusche. Deshalb ankern wir auch auf dem echt schönen Campingplatz in Zinnowitz. Ins Logbuch wandern heute knapp 160 Kilometer, wir sind zufrieden.
Die vierte Etappe: Zinnowitz-Lübs
Heute Morgen schlafen wir relativ lang. Unsere Fahrt nähert sich ihrem Ende und es gibt wenig Grund zur Hektik. Die kommt dann aber unversehens trotzdem auf, als plötzlich Regen aufzieht. Und diesmal sieht es nicht so aus, als wäre der schnell durchgezogen. Heißt Usedom nicht „Sonneninsel“? Und ist laut Wikipedia sogar die sonnenreichste Region in Deutschland! Ach egal: Erstmal Frühstücken. Das gibts im Campingshop am Haupteingang. Sehr gut und preiswert übrigens. Nach dem Bestellen des dritten Kaffees werden wir allmählich auffällig und die Bedienung fragt sich, ob sie vielleicht die Rösterei wegen Nachschub informieren soll 🙂 Als es draußen allmählich aufklart, steigen wir aber in die Takelage und setzen die Segel für die vorletzte Etappe. Genüsslich lassen wir uns zwischen der Pommerschen Bucht und dem Achterwasser Richtung Osten treiben. Kurz vor der Grenze bei Swinemünde reißen wir das Ruder rum und kreuzen nun gegen den Sturm bis Anklam. Was für eine Ackerei, besonders das Teilstück am Stettiner Haff entlang raubt uns Kräfte. Kleiner Vermerk fürs Logbuch: Material und Knochen schonender ist ab dem Zollhafen Karnin auf der Straße über Gneventhin zur B110 zu fahren. Dorthin muss ohnehin jeder, der die Insel Richtung Anklam verlassen will. Denn nur hierüber lässt sich der Peenestrom überqueren. Achja, noch ein Hinweis für Logbuch: In Zecherin legen wir zu dritt unter dem Dachüberstand einer Scheune das komplette Ölzeug an! Vor uns sieht es nach Weltuntergang aus. Hansi weigert sich beharrlich. Und behält am Ende auch noch Recht. Auch dieser Guss ist nur von kurzer Dauer, sodass wir uns nach 15 Minuten auch wieder umziehen 🙂 Toll. Als wir in Anklam einlaufen, ist es Zeit zum Abendessen. Der Italiener am Marktplatz verjagt uns, mag anscheinend keine Seefahrer. Wir stranden drei Straßen weiter beim Bulgaren. Und der ist mal richtig gut, deshalb wird der hier auch verlinkt. Sehr nette Bedienung und leckeres Essen: Gaststätte Dabers. Wohl genährt genügen uns nun die Segel auf Halbmast, wir erreichen trotzdem beinah Höchstgeschwindigkeit. Treiben durch ein Gebiet, in dem sich eine große Zahl von Vögeln aller Art angesiedelt hat, sehr beeindruckend! Die Schwalben im Dach eines Aussichtsturmes vereiteln unsern angedachten Liegeplatz für die Nacht. Den finden wir erst später zwischen den Örtchen Leopoldshagen und Lübs, mitten auf offener See (oder mitten im Wald). Wir haben den eigentlichen Kurs des Hansegravels nun verlassen. Unser Plan ist, nicht bis nach Stettin zu fahren, sondern einen der letzten Bahnhöfe auf Deutscher Seite zu nutzen, um über Berlin wieder nach Kassel zu fahren. Somit müssen wir Sonntag nur noch in Pasewalk einlaufen. Fürs Logbuch: 116 Kilometer.
Das letzte Stück: Lübs-Pasewalk
Einen schöneren Platz zum Nächtigen kann man sich kaum wünschen. Ruhig und einsam gelegen, weit weg menschlicher Siedlungen. Entsprechend viel Natur ist hier zu hören. Sehr cool. Mittels Komoot navigieren wir uns die letzten 40 Kilometer zum Bahnhof von Pasewalk. Der Ansturm von Menschen überrascht uns komplett. Der gesamte Bahnsteig ist gefüllt. Beim Einstieg spielen sich Dramen ab, nicht alle kommen mit. Wir haben Glück, nach etwa 5 Stunden sind wir in Berlin, haben noch etwas Zeit für ein Finisherbier, bevor wir den ICE in Richtung Kassel besteigen.
Was bleibt?
Der Hansegravel ist einfach ein genialer Gravelkurs, der unglaublich viel Spaß macht. Der Anteil an Straßen ist gemessen an der Distanz wirklich gering. Eine klasse Abwechslung mit unterschiedlichen Untergründen Auch wenn es nur wenig Berge gibt, unterschätzt werden sollte der Hansegravel auf keinen Fall. Das Vorankommen hängt stark von den Bedingungen ab, also Wind und Bodenbeschaffenheit. In der schwach besiedelten Landschaft kann die Versorgung auch mal knapp werden, Tankstellen sind auf dem Track sehr rar. An vielen Stellen findet sich tolle Landschaft und Natur pur!
Immer wieder gern gefragt, ein paar Informationen zum Bike und der Ausrüstung:
Bike: Specialized Sequoia elite
Laufräder: 29er, Felgen DT-Swiss GR531, Naben: vorn SON 28/12 Nabendynamo, hinten DT Swiss 350 Road
Lenkeraufsatz: Syntace C3 in M
Beleuchtung: Supernova (hinten E3 TailLight Dynamo, vorn E3 Pro 2) + Helmlampe Lupine Piko, Rotlicht
Reifen: Rene Herse Oracle Ridge, 700c x 48
Schaltung/Übersetzung: Shimano 105, 2×11, vorn 31/48 (GRX Kurbel) , hinten 11-40 (XT-Kassette)
Taschen:
Am Lenker: Ortlieb HandleBar Pack L, Accessory Pack, Apidura Backcountry food pouch 0,8L
Auf dem Oberrohr: Apidura Expedition Top Tube Pack 1L, Revelate Designs JerryCan bent
Am Sattel: Apidura Expedition Saddle Pack Dry 14L
An der Gabel (mit Schrauben): links Halter von Blackburn, Tasche Exped Fold-Drybag 5l, rechts Getränkehalter mit Trinkflasche
Zelt: MSR Hubba NX
Isomatte: Thermarest Uberlight Regular
Schlafsack: Cumulus Light line 200
Kopfkissen: Nemo Fillo Elite
Kocher: Soto Windmaster, 100gr Gaskartusche
Von Dirk gibt es auch wieder ein kleines Video unserer Tour
PS: Andreas und Dirk haben ebenfalls Bilder für diesen Beitrag beigesteuert! Vielen Dank für eure Unterstützung 😃👍🏻
Käpt’n Mario, wieder mal ein klasse Bericht mit 4 „Fischköppen“:).
@Dirk: Schönes Video
Ahoi 🙂