„God Tur“ oder Flensburg-Skagen-Flensburg

Wem die „Transcimbrica“ * (Hamburg-Skagen-Hamburg) mit annähernd 1400 Kilometern zu lang ist, oder ich drücke es mal diplomatisch aus: Wer zu wenig Zeit hat, der fährt die Runde nach Norden einfach ab Flensburg. Aus der nordhessischen Metropole Kassel mit der Bahn dorthin zu gelangen, ist deutlich abenteuerlicher, als die eigentliche Radreise selbst. Aber weil wir Abenteuer mögen, lassen wir uns darauf ein. Ist Dänemark nicht viel zu langweilig fürs Bikepacking? Eine oft gestellte Frage, die ich mit diesem Artikel versuche zu beantworten.
* eine Langstreckenfahrt von Hamburg zum nördlichsten Ende der kimbrischen Halbinsel

Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe

Der Start vieler meiner Bikepackingtouren

Die Idee für diese Bikepackingtour entstand unmittelbar nach unserem dreitägigen Turn über die Dänischen Inseln 2023. Wir wollten noch mehr sehen von diesem Land, das nicht nur für seine endlosen Strände an der Westküste bekannt ist, sondern auch mit einem ausgezeichneten Fahrradwegenetz ausgestattet ist. Und die können zugegebenermaßen schon süchtig machen. Für die Radwege in Dänemark empfiehlt sich das Gravelbike, denn die Wege sind über längere Strecken geschottert, hin und wieder führen sie auch über Wanderwege mit Trail-Charakter.

Mit der Routenführung der Transcimbrica hatten wir für die Planung schon eine sehr gute Basis. Unser Ziel bestand aber nicht darin, möglichst schnell nach Skagen zu gelangen, sondern so schön wie möglich. Deshalb erklärte sich Andreas bereit, die Route an unsere Bedürfnisse anzupassen. Unser Team war das Gleiche, wie damals in 2023: Hansi, Dirk, Andreas, Gerian und ich. Allerdings wollte Gerian uns nur bis Höhe Ringkøbing begleiten, um sich dann südöstlich über Fyn und Langeland bis nach Fehmarn durchzuschlagen. Wir nutzten über lange Strecken die „Westküstenroute“ (Vestkystruten) bis Skagen. Übernachten wollten wir ausschließlich draußen. Entweder in den legendären Sheltern (eine besondere Bauform von Holzhütten für die Übernachtung) oder im Zelt. Um auch hinsichtlich der Stromversorgung möglichst autark unterwegs zu sein, hatten wir an drei Rädern den Forumslader in Verbindung mit SON-Nabendynamos dabei.

Der Start

Wir treffen uns früh morgens am Bahnhof Wilhelmshöhe und steigen mit bester Laune in den ICE1088. Der bringt uns schon mal bis Hamburg. Allein zu dieser Fahrt gibt es eine Story, die einen separaten Blogartikel verdient hätte. Ab Hamburg steigen wir in einen RE bis Flensburg. Es ist beinah genau 12:00 Uhr, als ich auf den Startknopf meiner Garmin-Uhr drücke. Endlich, wir rollen auf unseren Bikes Richtung Norden. Wir verlassen die charmante Hafenstadt in nordwestliche Richtung. Die Grenze nach Dänemark passieren wir in Pattburg eher unbewusst. Erkennbar wird das nur an den Pkw-Kennzeichen. Ein festes Ziel für die erste Etappe haben wir nicht. Einfach so weit fahren, wie wir Lust haben oder ein schönes Plätzchen für die Nacht finden. Ein Shelter sollte es wenn möglich sein. Bei „Emmerlev Klev“ erreichen wir die Nordseeküste und erhaschen bei schönstem Sonnenschein einen Blick auf die Inseln Sylt und Föhr. Auch der Wind macht hier deutlich auf sich aufmerksam. Mehr als uns lieb ist. Während einer kleinen Pause haben wir auch ein Shelter auf unserem Weg ausfindig gemacht, das wir für die Übernachtung ansteuern wollen. Natürlich nicht ohne vorher in einem COOP-365 das Abendessen einzukaufen. Dass sich bei unserer Ankunft am Shelter eine größere Gruppe Jugendlicher tummelt, stört nicht weiter. Denn sie wollen hier nicht übernachten, nur ein wenig Grillen und dann das Lager räumen. Lediglich ein Schweizer und ein weiterer Radfahrer bleiben auch zum Übernachten hier. Weil es für uns zu fünft dann doch etwas eng in den Shelter wird, bauen Andreas und ich die Zelte auf…bester Untergrund auf Wiese, die sogar vom Eigentümer noch eben schnell gemäht wurde…ein sehr netter Kontakt.

Unser Weg nach Norden

Morgens bereiten wir uns am Shelter ein kleines Frühstück. Noch vor Esbjerg eine Bäckerei oder sonstige Möglichkeit, etwas essbares zu finden, klappt nicht. Dafür aber in Esbjerg, da gönnen wir uns dann mehr ein Brunch als ein Frühstück 🙂 Die „Vestkystruten 1“ ist unsere primäre Strecke. Natürlich passieren wir die „Men at Sea“, ein Kunstwerk von Svend Wiig Hansen. Diese Typen am Strand habe ich schon oft bei Instagram gesehen und nun bin ich endlich mal selbst hier! Als wir ein paar Seen bei Sønderbøl entdecken, bricht plötzlich das „Seger-Virus“ unter uns aus: Es gibt einfach kein halten mehr, wir müssen unbedingt ins Wasser. Nur einer widersteht, ist anscheinend geimpft und deshalb resistent gegen das Verlangen, in einen See hüpfen zu müssen. Aber die Erfrischung zur Mittagszeit tut wirklich gut. Unser Quartier beziehen wir in Hvide Sande und zwar im Hafenviertel. Dort stehen tatsächlich etwas abseits drei Shelter. Eines bereits von einem Pärchen, das Zweite mit einer Person belegt, das Dritte vermeintlich frei. Mir wird’s irgendwie zu eng, deshalb baue ich gleich mein Zelt auf. Das ist hier sehr unproblematisch und der Bereich auch als Zeltplatz ausgewiesen. Dann passiert das, was auf dem Rest unserer Tour zum „running gag“ wurde: Eine englische, vierköpfige Männergruppe erreicht den Shelterplatz. Nach kurzem Wortwechsel machen sie unmissverständlich klar: Sie haben ein Shelter reserviert, nämlich den vermeintlich freien. Alle, die dort schon eingezogen sind, müssen raus. „It’s our, no discussion“ war der Kommentar des äußerlich Ältesten (jung waren die alle nicht mehr!) Okay, die Kerle waren zu Fuß mit Rucksack unterwegs. Von uns hatte jeder ein Zelt dabei, das war also kein Problem. Dennoch war dies die mit Abstand unfreundlichste Begegnung unserer gesamten Tour. Dirk baute schließlich noch sein Zelt auf, drei von uns zogen bei der einzelnen Person mit ein…

Unsere dritte Etappe war etwas Besonderes,

denn sie führte über lange Strecken sehr dicht an der Küste entlang, teilweise auf einem sehr schmalen Grat zwischen Nordsee und Fjord. Und: Wir hatten eine kleine Fährfahrt auf dem Weg. Wirklich richtig klasse. Außerdem verkleinerte sich an diesem Tag unsere Gruppe. Gerian verließ uns, weil er die nächsten Tage gemeinsam mit seiner Freundin auf Fehmarn verbringen wollte. Im Tagesverlauf verdunkelte sich plötzlich der Himmel und am Nachmittag wurden wir wegen eines heftigen Gewitterschauers sogar zu einer Zwangspause genötigt. Eine knappe Stunde verbrachten wir unter dem Vordach eines unbesetzten Ferienhauses. In Thyborøn erwischten wir am Abend die letzte Fähre des Tages, um über den gleichnamigen Kanal überzusetzen. In der Anfahrt vor Agger teilten wir uns in zwei Gruppen auf: Andreas und ich düsten zum Supermarkt, um das Abendessen einzukaufen, während Hansi und Dirk einen Shelterplatz suchten, um zu klären, ob wir dort über Nacht einziehen können. Ein echter Luxus-Shelter, also eigentlich sogar drei. Es gab einen Waschraum mit einer Dusche. Kalt versteht sich, aber immerhin eine Dusche. Es war übrigens die Einzige unserer gesamten Tour.

Die Landschaft im Norden ist von Sand, Dünen und Ferienhaussiedlungen geprägt

Ein kleines Highlight ist das Dörfchen Klitmøller, mit nicht einmal 1000 Einwohnern. Dennoch gehört es zu den bekanntesten Surfgebieten Europas. Außerhalb der Ferienzeit ist hier eher wenig los, am Strand sind wir fast allein. Sehr gemütliche wirkt hier alles. Wir fahren ganz dicht an der Küste entlang, bei Hanstholm gibt es einen Schwenk nach Osten. Hier oben ist die Besiedlung wirklich überschaubar und wir haben teilweise das Gefühl, allein auf diesem Planeten zu leben. Während der Sommerferien ist das bestimmt ganz anders. In Bulbjerg stoppen wir an einer gigantischen Festungsanlage aus dem 2. Weltkrieg. Für die abendliche Verprovantierung verlassen wir den Küstenradweg und rollen nach Fjerritslev in den nächstbesten Supermarkt. Der zuerst angepeilte Spot ist leider belegt. Von einem Pärchen, dass sich in seinem Liebesleben durch uns in keinster Weise stören lässt….Wir fahren dann lieber weiter bis in die Nähe von Blokhus, wo wir im Wald eine Lichtung mit riesiger Grillstelle und großer Überdachung finden. Es war wohl die innere Eingebung von mir, es den anderen nicht gleich zu tun und einfach draußen auf dem Boden zu schlafen. Wozu habe ich das Zelt dabei? Dirk hat es in der Nacht bereut. Denn er wurde sprichwörtlich von einer Armee Nacktschnecken überfallen, die bereits großzügig ihre Schleimspuren hinterlassen haben. Alles war über und über mit Schnecken überdeckt….ein ziemlich einschneidendes Erlebnis, für alle auf jeden Fall! Am fünften Tourentag sollte ab Mittag das Wetter wieder umschlagen. Ausgerechnet an dem Tag, an dem wir zwischen Grønhøy und Løkken direkt über den Sandstrand fahren. Aber nicht nur wir, hier sind auch Autos und sogar Wohnmobile im Sand unterwegs. In Hirtshals gehen wir nur kurz Essen einkaufen und fahren zu einem Shelter weiter. Wir haben nur etwas über 60 Kilometer Strecke bis hier her gemacht, aber pünktlich als wir am Shelter ankommen, öffnet der Himmel seine Pforte. Wir richten uns für ein Mittagsschläfchen ein und verpennen beinah noch den Nachmittag….wir bleiben heute einfach hier.

Skagen erreichen wir an Tag 6.

Skagen ist der Ort, bei dem Nord- und Ostsee aufeinander treffen. Schon irgendwie spannend! Viele Motorradfahrer und Wohnmobilisten tummeln sich hier….die Straße endet etwa 500m vor der nördlichen Spitze von Dänemark. Wir machen ein paar Bilder und verkrümeln uns wieder. Gehen etwas essen, Smørebrød zur Feier des Tages. Denn nun treten wir unseren Rückweg an. Entgegen unserer eigentlichen Planung wollen wir jetzt ein Stück der Ostseeküste folgen und schauen, ob der Radweg hier genauso reizvoll ist, wie an der Westküste. Ich kann es hier vorweg nehmen: Nein. Es lohnt nicht wirklich. Südlich von Frederikshavn steuern wir auf Aalborg zu. Das Landesinnere von Dänemark hat landschaftlich allerdings auch einiges zu bieten. Sehr gute, kleine und wenig befahrene Straßen, aber auch richtig geniale Schotterstrecken. Darauf läßt es sich problemlos mit höherem Tempo fahren. Wir treffen auf unseren Asphaltabschnitten immer wieder auf größere Gruppen von Rennradlern, die uns jedesmal so freundlich grüßen. Vermeintlich auf Französisch, lustigerweise. Andreas klärt uns auf: Das sei Dänisch: „God tour“ und heißt so viel wie: Habt eine gute Tour! Das sorgt erstmal für einiges Gelächter! Für mich, aber auch für Dirk klang das immer wie ein uns freudig entgegengerufenes „Bonjour“…tja, mit dem Gehör ist es anscheinend auch nicht mehr sooo weit her 🙂

Auch im Landesinneren von Dänemark finden sich regelmäßig schöne Shelterplätze. Ich kann mich an keinen Platz erinnern, wo es kein Frischwasser und Holz gab. Das gehört sozusagen zur Grundausstattung dazu. Beeindruckend ist auch deren Zustand. Vandalismus haben wir nie festgestellt und sauber waren sie auch immer. Was aber nicht heißt, dass man auf eine Unterlage für die Iso-Matte gänzlich verzichten kann. Teilweise finden sich schon kleine Holzsplitter oder feine Steinchen auf der Liegefläche, die der Matte Schaden zufügen können. Besonders schön ausgestattet war unser letzter Shelter, der zur Naturskole Kelstrup gehört. Hier bleiben wirklich keine Wünsche offen und wir freuen uns sehr, den Platz komplett für uns zu haben.

Zum Abschluss unserer Tour Flensburg zu erreichen, war schon ein kleiner Kulturschock. Nach so vielen Tagen draußen in der Natur, dünner Besiedelung und wenig Kontakt zu Menschen. Geradezu der Hammer erwischte uns dann aber in der Metropole Hamburg! Eine unglaubliche Hektik, Lautstärke…puh, da mussten wir uns erstmal wieder eingewöhnen….Wir suchten uns eine nette Einkehrmöglichkeit direkt am Elbestrand, um dort die Wartezeit auf unseren Zug nach Kassel zu überbrücken. Ein frisch belegtes Fischbrötchen durfte dabei selbstverständlich auch nicht fehlen.

Was bleibt

Ich denke, Bilder sagen mehr als 1000 Worte. Wir sind nachhaltig beeindruckt von der landschaftlichen Vielfalt Dänemarks. Es gibt dort keine Berge, die mögen vielleicht anfangs etwas fehlen. Aber die Abwechslung, die man als Radfahrer in diesem Land erlebt, mit einer wirklich beeindruckenden Infrastruktur für Radfahrer, macht einfach nur Spaß. Von Langeweile also überhaupt keine Spur!

Die Tourenübersicht

Ein Video von Dirk

na klar, Dirk hat unterwegs mit dem smartphone wieder gefilmt und ein echt cooles Video zusammengeschnitten (Bei 20:10 Min im Video ist ein Beispiel der Begrüßung von Dänischen Radlern zu sehen 🙂 )

Related posts

2 Thoughts to “„God Tur“ oder Flensburg-Skagen-Flensburg”

  1. Wolle

    Wieder mal ein klasse Bericht und ein spannendes Video. Man fährt im Geist die Tour mit.
    „bon jour“ , äh, ich meine „god tur“ 🙂

    Grüße von Wolle

    1. Mario Schön

      Hehe, Danke Wolle… hav altid en god tur 😅

Leave a Comment