Was bitte soll das denn sein, was hat Bikepacking jetzt mit Literatur zu tun? Nun, dem Ganzen liegt eine geniale Idee zu Grunde, die Martin und Stefan, beide als Guides für den Naturpark Habichtswald unterwegs, im letzten Jahr ausgeheckt haben: Warum nicht mal eine Bikepackingtour auf den Spuren eines Schriftstellers unternehmen, der ganz in unserer Nähe sich eine Auszeit im Wald gegönnt und eben darüber ein Buch geschrieben hat? Genial ist: Um die Zusammenhänge zu verstehen, muss man das Buch nicht zwangsläufig auch gelesen haben. Denn unterwegs gibt es live ein paar ausgewählte Abschnitte zu Hören. Eine prominente Stimme liest vor.
[Titelbild: Martin Dillschneider]
Sehr Cool! Logisch, dass ich auf dieser Tour gerne dabei sein möchte. Mit kleinen Abstrichen allerdings, denn berufsbedingt wird der Plan von einer Dienstreise durchkreuzt. Mit etwas Improvisation und Dank der „Fahrbereitschaft“ meiner lieben Frau kann ich mich einen halben Tag später der sechsköpfigen Gruppe noch anschließen.
Der eigentliche Start der Rundtour ist an einem Freitagnachmittag in Breuna. Bis zum ersten „Spot“ (Fachchinesisch für Biwakplatz) haben die beiden Guides eine Strecke von etwa 25 Kilometern geplant. Dort gibt es ein schützendes Dach über dem Kopf und eine offizielle Feuerstelle. Beides ist am ersten Abend sehr willkommen, denn unterwegs sorgt eine kräftige Regenschauer für eine ordentliche Durchfeuchtung. Als ich früh am Morgen dazustoße, sind die meisten Klamotten schon wieder getrocknet. Einzig ein Zelt will noch etwas in der aufgehenden Morgensonne den Tau verdampfen lassen. Währenddessen gibt es Porridge satt, einen Kaffee als Startpilot bekomme ich auch noch. Die Laune aller ist bestens, kein Wunder, der Herbst zaubert im Sonnenlicht die schönsten Farben. Die Wetteraussichten orakeln auch für den Sonntag noch Sonne satt.
Bevor wir aber starten, hören wir noch ein paar Zeilen aus dem neuen Buch von Wolfgang Büscher mit dem Titel: Heimkehr. Unser „Vorleser“ ist Daniel von Trausnitz, der erstmals das Bikepacking für sich ausprobieren möchte. Wir bekommen dadurch einen klasse Einstieg in den Tag und ich bin sehr gespannt, unterwegs auf Büschers Spuren zu treffen. Erstmal heißt es aber Höhe gewinnen. Das Sauerland lässt grüßen und in Marsberg-Downtown gibt’s beim Bäcker gerade noch vor Ladenschluss einen kleinen Einkehrschwung zur Stärkung. Die folgenden Kilometer sind durch viel Wald und klasse Aussichten geprägt. Am Ufer des Aabachstausees ist eine Pause obligatorisch. Verführerisches Sonnenlicht und einfach eine tolle Gegend. Ein Stück weiter, in Bad Wünnenberg, erledigen wir die Verproviantierung für den Abend. Martin, übrigens gelernter Koch, hat Kartoffeleintopf vorgeschlagen. Es benötigt etwas Zeit, bis der ganze Einkauf in den Taschen einigermaßen verstaut ist. Bis zum unserem Spot sind es immerhin noch knapp 30 Kilometer. Zwischen Fürstenberg und Meerhof ist die Landschaft an Stelle von Wald mehr durch Windräder geprägt. WOW, ein gigantisches Windkraftwerk, für das immer noch weitere Windräder gebaut werden. Irgendwann folgen wir ein Stück dem Eggeweg, biegen aber dann zum Wiesent-Gehege Hardehausen ab.
In der untergehenden Sonne können wir tatsächlich noch ein paar dieser faszinierenden Tiere beobachten, die zu den größten und schwersten Landsäugern Europas zählen. Mit der untergehenden Sonne wird es jetzt deutlich kühler. Unser Etappenziel ist ein ehemaliges Kloster (Zisterzienserabtei), heute eine katholisch geprägte Jungend- und Bildungsstätte. Für uns wurde dort ein Steinhaus gemietet, dass bis auf ein paar Festzeltgarnituren und einen Ofen keine weitere Inneneinrichtung bietet. Das hat den Vorteil, dass wir es uns hier mit dem Bullerjahn ordentlich warm machen und kochen können. Außerdem muss niemand draußen auf der Wiese nächtigen, wir passen allesamt ganz gemütlich in den riesigen Innenraum. Der Abend steht im Zeichen der Essens-Vorbereitung (schnippeln, schnippeln, schnippeln…) und dem Befeuern des riesigen Holzofens. Zwei volle Schubkarren Holz haben wir uns dafür gekauft. Frieren muss heute Abend niemand 🙂 Bijan spendet Getränk, so dass wir bis spät am Abend um den Ofen statt ums Lagerfeuer sitzen. Sehr bequem das alles! Einen winzigen Nachteil hat das Quartier allerdings. Der Raum, eher eine kleine Halle, wirkt wie ein Verstärker, der die Atemgeräusche einiger unter uns deutlich hervorhebt.
Am Morgen ist draußen alles von einer dünnen Raureifschicht überzogen. Das stört uns drinnen kaum und wir genießen ein ausgiebiges Frühstück mit reichlich Kaffee. Und Porridge, Stefan köchelt das mit Leidenschaft! Bevor wir diesen echt schönen Ort wieder verlassen, schlägt Daniel für und das Buch noch einmal auf und liest daraus vor. Das ist schon echt ziemlich cool, so eine Lesung unter freiem Himmel und mit dem Wissen, die eben beschriebenen Orte gleich mit eignen Augen zu sehen. Ups, es ist bereits nach Elf Uhr, als wir unsere Etappe in südliche Richtung starten.
Bei Wrexen überqueren wir die Diemel, folgen dem Lauf der Orpe und lassen Diemelstadt einfach links liegen. Dann gehts aufwärts, teilweise mit 13% Steigung. Mit dem Gepäck am Rad sind’s gefühlt 20% ! Unsere nächste längere Pause haben wir an Büschers beschriebener Hütte geplant, in der er beinah ein Jahr verbracht hat. Der Weg dort rauf zieht sich ordentlich in die Länge. Doch als wir dort ankommen, ist mir, als wäre ich schon mal hier gewesen. Verblüffend präzise hat Büscher diesen Ort beschrieben. Erneut hält Daniel das Buch in den Händen, um uns daraus vorzulesen. Gerade als er die Lesung beendet, rauscht ein PickUp auf uns zu. Ein Schildchen im Fenster weist auf den Forst hin. Das ist jetzt echt ein Zufall, Trailmagic! Denn uns trifft exakt jener Förster, der in Büschers Buch eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Denn er war es, der ihm zu dieser Hütte verhalf und der ihn in die Geheimnisse des Waldes einführte. Nach einem kurzen Plausch erkennt der Förster auch unser Interesse und die Liebe am Wald und zeigt uns etwas von seinen laufenden Projekten. Nur ein paar Meter von der Hütte entfernt. Natürlich kommt auch Herr Wohleben (Autor u.a. von „Das geheime Leben der Bäume“) kurz zur Sprache und der Herr Förster macht keinen Hehl daraus, dass er es sehr uncool findet, von einem Kollegen mehr oder weniger denunziert zu werden. Da hat er Recht! Selbst meine eigene Meinung über die Arbeit des Forstes ist nicht zuletzt durch die Aussagen des Herrn Wohleben deutlich beeinflusst. Aber was wir in den folgenden 30 Minuten gezeigt und erzählt bekommen, ist doch ein wenig anders als „rein wirtschaftlich orientiert“ und klingt nicht danach, dass „der Forst nur Laub- und Nadelholz erzeugt und keine Bäume pflanzt“ .
Das Gespräch ist super interessant und nur zu gerne würde ich noch tausend weitere Fragen stellen. Aber irgendwann wollen wir heute ja auch noch heimkehren 🙂 Das war schon ein echt toller Moment, mitten im Wald direkt auf einen der Protagonisten aus dem Buch leibhaftig zu treffen! Auf jeden Fall ist das Bild über die Arbeit unseres Forstes für mich nun wieder etwas gerade gerückt. Wir treten in die Pedale, der Förster aufs Gas, und rauschen bergab. Prima, so könnte es bis Breuna weiterlaufen. Tut es aber nicht! Erst müssen wir uns noch über diesen Buckel bei Volkmarsen arbeiten. Oben sind wir deshalb aber längst nicht, denn nun folgt der elende Anstieg von Rhöda bis Breunaaaaa. Fabian orakelte es bereits: „Egal von wo man kommt, nach Breuna geht’s immer nur hoch“. Legendär sei im Kreise der ortsansässigen Biker der Ortsschildsprint ab der Autobahnbrücke. Mann Oh Mann, irgendwie hatte ich die Rückfahrt etwas einfacher im Kopf und ich bin schon ein wenig erleichtert, nun am „Ziel“ zu sein. Obwohl, für mich ist das ja noch längst nicht das Ziel. Bis zu mir nach Hause sind es locker weitere 40 Kilometer. Bijan nimmt sich meiner an, denn er hat seinen Caddy bei Martin vor der Tür geparkt, in dem für mein Fatbike noch richtig viel Platz ist. Das ist echt der Hammer: Das voll bepackte Fatbike kann ich einfach so hinten reinschieben. Falls sich jetzt jemand wundert, wieso: das ist ein Caddy mit langem Radstand (Geheimtipp). Bevor wir aber Richtung Kassel fahren, bekommen wir von Martin noch ein sehr leckeres Süppchen mit Bündner Fleisch als Beilage serviert! Boa, super lecker! Ein dickes Dankeschön für diese Tour gebührt den beiden Guides. Ein geniale Idee, toll organisiert, eine abwechslungsreiche Strecke, Überraschungen unterwegs, was will der Bikepacker mehr?
Diese Tour des Naturparks Habichtswald hat Daniel von Trausnitz gefilmt. Einen Teaser gibt es bereits, den kompletten Film werde ich hier, sobald möglich, verlinken.
Martin war ebenfalls fleißig mit dem Fotoapparat unterwegs. Hier noch ein paar Stimmungsbilder von ihm:
An dieser Stelle wird, sobald verfügbar, das Video von Daniel von Trausnitz eingefügt
Hallo Mario,
eine tolle Idee, das mit dem Rad abzufahren! – und das Buch ist wirklich gut!
Beste Grüße
Gert
P.S.: Falls Du es noch nicht kennst, Büscher ist zu Fuß durch die USA gelaufen: Hartland, auch sehr lesenswert, oder Berlin-Moskau
P.P.S.: Beides könnte man auch per Rad erfahren 🙂
Hallo Gert,
Interessant, dass du den Auto auch kennst. Der Förster hat noch ganz begeistert über „ein Frühling in Jerusalem“ erzählt, dass er auch noch gelesen hatte…
Und richtig, Berlin-Moskau mit dem Rad wäre bestimmt ne tolle Strecke 😀
Viele Grüße
Mario