Vom Winde verweht

Jetzt dauert es nicht mehr lange bis der Candy B. Graveller 2018 (#CBG18) startet. Das Training dafür gestaltet sich in diesem Winter, der für uns Radsportler irgendwie gar kein Ende zu nehmen scheint, echt nicht ganz einfach. Bei einstelligen Temperaturen und eisigem Wind bleibt die Motivation auf der Strecke. Da kommt so ein Termin wie die Leipziger Buchmesse gerade recht, um daraus eine kleine Trainingsfahrt zu gestalten. Der Messebesuch ist für uns seit ein paar Jahren ein Familien-Event und das sollte auch trotz Trainingsfahrt so bleiben. Die Idee war, für die Anfahrt einfach das Gravelbike zu packen und von Kassel bis Leipzig inklusive einem kleinen overnighter zu radeln. Keine Frage, die 260 Kilometer kann der ambitionierte Radfahrer auch am Stück ohne Übernachtung fahren. Aber erstens ist es für mich dafür noch zu früh im Jahr und außerdem will ich ja neue Ausrüstung testen.

Beste Laune am Morgen. Dirk, Hansi und ich

Dazu gehört ein Tarp, dass in diesem Jahr während des Candy das Zelt ersetzen könnte und dann noch ein Lenkeraufsatz, um den einschlafenden Fingern auf langen Strecken vorzubeugen. Der Plan sah vor, dass ich bereits am Donnerstag morgen mit dem Fahrrad starte, den Tag über im Sattel verbringe und dann am Abend irgendwo auf der Strecke ein Biwak einrichte. Freitag früh wollte meine Frau samt Nachwuchs mit dem Auto in Richtung Leipzig aufbrechen und mich, sofern ich die Stadt im Laufe des Vormittags noch nicht erreicht haben sollte, unterwegs einfach auflesen. Der Fahrradträger befand sich im Kofferraum. Im Zuge der Streckenplanung konnte ich zu meiner Freude sogar noch zwei Weggefährten finden. Sowohl Dirk als auch Hansi haben sich kurzfristig zwei Tage Urlaub nehmen können, um mich auf dem Weg nach Leipzig zu begleiten. Das nenne ich Wertschätzung! Nicht zuletzt wollten die Beiden ebenfalls etwas neue Ausrüstung unter realen Bedingungen ausprobieren. Im Auto war für sie natürlich kein Platz mehr, aber ihr Plan bestand in der Ansteuerung des Leipziger Hauptbahnhofes mit anschließendem Zugtransfer zurück nach Kassel.
An besagtem Donnerstag im März starten wir also morgens um kurz nach Neun mit dem Ziel Leipzig. Den Track fürs Navi habe ich zuvor am PC mit Komoot geplant und an ein paar Stellen leicht angepasst. Als Grundlage benutzte ich den Modus „Fahrrad“, um auch Radwege bzw. nicht asphaltierte Strecken zu berücksichtigen. Das Wetter an diesem Morgen ist toll, bis auf den Wind, der uns, wie sollte es anders sein, direkt aus Osten mit Stärke vier entgegen weht. Hansi und Dirk starten von daheim aus mit dem Radl, holen mich in Niestetal ab und gemeinsam strampeln wir in bester Laune über den ersten und einzigen Pass, den Umschwang im Kaufunger Wald mit 446 Höhenmetern. Die Abfahrt ins Witzenhäuser Kirschenland wird bei den 3°C Außentemperatur verdammt frisch und keiner ist traurig, als wir den tiefsten Punkt unserer Strecke am Ufer der Werra erreichen. Unser nächstes Ziel heißt nun Heiligenstadt. Hier wollen wir eine kleine Stärkung einnehmen. Fündig werden wir im Café Multhauf, das keine unsere Wünsche offen lässt. Der Wind macht im Gegensatz zu uns keine Pause. Je weiter wir nach Osten kommen, desto geringer wird auch der Waldbestand, die Buckel weitläufiger. Riesige Felder eröffnen tolle Fernblicke, bieten uns aber in keinster Weise Schutz gegen den Wind. Als wäre die Nordsee gleich um die Ecke, dröhnt es unvermindert in den Ohren, was fast genauso schlimm ist, wie der enorme Kraftaufwand fürs Vorankommen. Natürlich halte ich die ganze Zeit Ausschau nach den begehrten Landkreis-Schildern. Trotz der drei Augenpaare und durchkreuzten Landkreisen ohne Ende, bekommen wie leider, leider kein einziges der ersehnten Schilder zu Gesicht. Ich wage inzwischen zu behaupten, dass diese allmählich, Stück für Stück, durch einen Aufdruck auf den Ortsschildern einfach ersetzt werden. Unser nächstes größeres Etappenziel ist die Kreisstadt Nordhausen.

Hier legen wir in einem Discounter eine längere Pause zur Verpflegung ein. Wir benötigen dringend Nachschub, die Schenkel Erholung. Ernüchternd stellen wir fest, dass der permanente Gegenwind mächtig Reserven und auch Zeit kostet. Es dauert jetzt nicht mehr lange, bis die Dämmerung einsetzt. Dem ursprünglichen „Zeitplan“ hängen wir eine gute Stunde hinterher. Diesen Gedanken verdrängen wir aber erstmal, denn nach der Stärkung geht es vermeintlich gut voran. Der Wind nimmt mit Böen zu, unsere Motivation gegen ihn anzukämpfen im gleichen Maße ab. In Roßla stoppen wir erneut an einer Tankstelle und beraten uns. Inzwischen ist die Nacht über uns hereingebrochen und es wird Zeit, sich Gedanken um einen Biwakplatz zu machen. Die Gegend um uns herum ist jedoch leer! Aufgrund der Wetterlage und der weiter sinkenden Temperatur benötigen wir eine Schutzhütte, die aber nicht zu finden ist. Die Gegend besteht lediglich aus Feld, Wiese oder Ortschaften. Eine Sportanlage? Fehlanzeige. Grillplatz? Weit und breit nicht zu finden. Unter Berücksichtigung der kritischen Wetterlage -Regen mit Schnee und deutlichen Minusgraden- besprechen wir nun drei mögliche Alternativen:
1. Einfach auf gut Glück weiter fahren und hoffen, einen geschützten Biwakplatz zu finden
2. Mehrere Kilometer abseits der Strecke auf einen Hügel mit „vermeintlicher“ Schutzhütte unbekannter Ausführung fahren und min. 200 Höhenmeter aufwärts kämpfen,
3. Bahnhof suchen und die Tour mit Rückfahrt im Zug beenden.

Die Diskussion ist überraschend kurz und die Entscheidung fällt zu Gunsten der dritten Alternative. In einem kleinen Imbiss neben dem Bahnhof von Roßla überbrücken wir die Wartezeit auf den Zug in Richtung Kassel und sind begeistert, dass dieser uns direkt und ohne Umstieg bis zum Kulturbahnhof Kassel bringt. Hier verabschieden wir uns, Hansi und Dirk können einen „FREItag“ genießen, meine Frau freut sich, dass sie bei den wiedrigen Bedingung nicht mit dem Auto fahren muss. Well done, immerhin eine wirklich schöne Trainingsfahrt mit vollem Gepäck über gute 150 Kilometer. Im Nachhinein stellen wir fest: Alles richtig gemacht! Denn am Freitag schüttet es den ganzen Tag, der Wind weht unverdrossen aus Ost, die Temperatur fällt in den höheren Lagen deutlich unter den Gefriepunkt und Leipzig versinkt ob der Bedingungen im Schnee-Chaos! 

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6 Thoughts to “Vom Winde verweht”

  1. Thomas

    Schöner Bericht. Bei den Bedingungen zählen die 150 Kilometer aber mindestens doppelt.

    1. Mario Schön

      Danke 🙂
      Und eigentlich zählen die 150km sogar dreifach, weil ich solch ätzenden Gegenwind sogar noch mehr hasse, als Regen bei Kälte 😉

  2. Thomas

    Hi Mario,
    neues GPS Gerät am Rad?

    1. Mario Schön

      Hey Thomas, nein so ganz neu ist das nicht mehr. Das GPS64s hatte ich letztes Jahr schon auf dem Candy dabei. Das Edge800 hat mich zum Wahnsinn getrieben, weil es nicht richtig funktionierte. Setzte unterwegs immer wieder aus, die Bedienung bei Nässe war immer sehr bescheiden, ebenso die Akuleistung. Mit dem 64s bin ich bislang zufrieden. Auch wenn sich dieses ab und an einfach ausschaltet….irgendwelche Kröten gibt es eben immer zu schlucken.

  3. Dirk

    Alles richtig gemacht. 👍hat aber trotzdem Spaß gemacht. Vielleicht widerholen wir es nochmal, aber bei west Wind. 😏 toller Beitrag 😉
    Dirk

    1. Mario Schön

      🙂 Es muss ja auch nicht unbedingt Leipzig sein, hätte da schon so eine Idee 🙂 Lass uns mal plaudern…

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